
er hat die Macht?
Vorgestern Nacht: Ich schrecke aus dem Schlaf auf.
Blankes Entsetzen: mein rechter Arm ist vollkommen gefühllos, baumelt schlaff herunter, und lässt sich nicht steuern, nicht im geringsten willentlich bewegen, er baumelt wie ein abgebrochener Zweig im Wind. So ähnlich muss es sich anfühlen, wenn man amputiert ist. Schrecklich! Zu wissen, der Arm ist da, und doch vollkommen leb- und hilflos! O Gott! So leben müssen? Niemals! Ich bewege mich wie wild, taste und drücke mit dem linken Arm den rechten, Verzweiflung, gepaart mit Trotz und Hilflosigkeit, und immer wieder die Frage: Warum? Dann, nach einer gewissen Zeit, die mir wie Stunden vorkamen, beginnen sich, die Ameisen zu regen. Es fängt an, zu kribbeln, ich atme tief auf. Das Leben kehrt in den rechten Arm zurück. Doch der Schock sitzt tief, die Nerven liegen blank, das ganze Wochenende beschäftigt mich dieser Vorfall.
Beim Spazierengehen im Wald finde ich die Zeit, um die Kausalkette zurückzuverfolgen.
Der Tag vorher: ich stehe viel zu spät auf, und komme mit allem in zeitlichen Druck. Ein Gehetze und ein Terminchaos sind die unausbleibliche Folge, inclusive immenser Nervenbelastung. Der Tag vorher: ich arbeite an einem kritischen und komplexen Bereich, der stundenlanges Eindenken erfordert. Es sieht so aus, als ob ich das Pensum bewältigen kann. Doch ziehen die Neuerungen im Hauptbereich so dramatische Änderungen in damit verbundenen Nebenbereichen nach sich, dass ich bald die Konsequenzen nicht mehr überblicken kann. Die Fehlermeldungen häufen sich, mir raucht der Kopf. Langsam steigt das Gefühl in mir auf, dass ich es heute nicht mehr schaffen kann. Doch ich will! Unbedingt! Morgen komme ich sowieso nicht dazu, und dann ist schon wieder Wochenende! Und so gehe ich mit dem Kopf durch die Wand, lasse Hunger- und Durstgefühle Gefühle sein, und sitze wie festgeschweisst auf meinem Drehstuhl — – bis auch die letzte Fehlermeldung aufgelöst ist. Das ist bereits nach 21:00 Uhr; dann in die Küche gestürzt, und den Frust und die Wut auf mich selbst am Kühlschrank gestillt. Und immer wieder der Versuch, mir zu vergeben. „Du weisst doch, dass dir das nicht gut tut. Wie lange willst du dir das noch antun?” – „Ich will’s ja gar nicht, aber . . . ” Versteht man den Spiegel (man könnte auch sagen: das „Schauspiel”) mit dem gefühllosen rechten Arm in der Nacht? Die rechte Körperhälfte ist dem Bereich der Logik, dem Bereich der Verstandesentscheidungen zugeordnet, und sie dominiert bei den Männern – deshalb sind die gefühlsbetonten Linkshänder vermehrt bei den Frauen zu finden. Die Fehlentscheidung, das Arbeitspensum ohne Rücksicht auf Verluste auf jeden Fall durchzuziehen, war eine typische Verstandes- und Willensentscheidung. Ich will! Die Intuition hatte mich mehrmals gewarnt; ich bekam Denkanstöße, die mich an frühere, vergleichbare Situationen erinnerten, an die Schmerzen, die sich in den Tagen danach einstellen würden, an die bleierne Müdigkeit nach wenig erholsamen Nächten, usf. Die Intuition ist aber die Verbindung zur Wahrheit. Wer nicht hören will, muss f ü h l e n ! Das tat ich dann reichlich im Nachhinein, und das auf nicht sehr angenehme Art und Weise. Wer hat die Macht? Seht auf die Nacht. Ihr schlaft, und werdet rechtzeitig gedreht und gewendet, bevor euer rechter Arm alles Leben verliert. Ihr selbst könnt es nicht tun, und nicht der Mächtigste und Weiseste auf Erden. ER, der höher ist, als alle Vernunft, trägt euch in seiner Hand. ER möchte euch haben, aber glücklich! So lasst euch zu eurem Glück verhelfen – hört auf seine Stimme!