Tapetenwechsel - mein 17280. Tag


anch einer schwärmt von überirdischen Momenten, doch auch unter Tage wohnt das Glück.
Unterirdische Beseeligung?
Jawohl – und das kam so:

Träumt nicht mancher dann und wann, von einer Fahrt ins Blaue,
müde macht der Alltag uns, der Fade, all zu Graue;
will man auch entfliehn, ist doch die Sach’ so einfach nicht,
kann ich, eng im Herzen, weit im Ziel, dir dienen, hoheitsvolle Pflicht?

Pflicht oder Neigung, hin und her, sie müssen beide harmonieren, will ich wirklich glücklich sein. Ein klein wenig Spagat hilft sicherlich, die Spannungen des Lebens auszuhalten; doch auf Dauer hilft nicht Power, sondern nur – Entspannung pur.

Wir brauchen kleine Wohlfühlinseln, Oasen der Ruhe und Erholung, und dazu ist ja das Wochenende da.

Gesagt, getan! Ich weiss, die Seele fliegt gern hoch, drum bleibe ich am Boden: ich mache einen Ausflug mit dem Bus. Hoch hinauf geht’s, auf die Alb der Schwaben; im Festtagskleid empfängt sie uns.

Wir – das sind Mitglieder des Schwarzwaldvereins, und das bin ich als zahlender Zaungast.

So seh’ ich nun für wenig Geld
recht viel von dieser schönen Welt!
Das ist schon eine feine Sache,
leichthin so dahinzurollen,
im beheizten Bus zu sitzen,
nicht zu frieren, nicht zu schwitzen!
Der Drahtesel freut sich derweil an seinem freien Sonntag.

Und das Ziel der Fahrt? Bis dato unbekannt, doch sei es nun genannt: die Wims’ner Höhle ist es, die sich, wie der Wanderführer uns erklärt, durch ein Alleinstellungsmerkmal auszeichnet: es ist die einzige schiffbare Höhle Deutschlands. Zunächst jedoch faszinierte mich der Wortschatz des Wanderführers erheblich mehr, als besagte Höhle. Allein-stellungs-merk-mal, unglaublich, welch ein Wort! Man verrenkt sich leicht dabei die Zunge. Goethe’s Wortschatz soll aus ungefähr 600.000 Wörtern bestehen, doch diesen Begriff wird man vergeblich bei ihm suchen. Wird er dafür den meinigen ab jetzt bereichern? Nein – denn sag’ es einfach, sag’ es klar – die Höhl’ ist einzig – wunderbar.

Wie dem auch sei, am Busen der Natur begann das müde Herz sich unversehens zu erholen. Heidelandschaften erfreuten unser Auge, Trockentäler waren rasch durchschritten, und vorbei ging es an schroffen Klippen, bis wir unvermutet vor dem Höhleneingang standen: ein bescheidnes, schwarz gähnendes Loch im weißen Fels. Ob der spätere württembergische König, Friedrich I, mit seinem mächtigen Leib von 400 Pfund! eine wahrhaft gewichtige Persönlichkeit, tatsächlich in der Höhle war? Verbürgt ist nur sein Erscheinen vor Ort, noch als kurfürstliche Hoheit, am 9. August 1803. Friedrich’s Generalissimus, ein Freiherr Normann, den er für dessen geschickte Verhandlungen mit Napoleon reich entlohnte, ließ als frischgebackener Höhlenbesitzer eine Marmortafel über dem Eingang anbringen:

GRATA TUUM PRÆSENS NUMEN MEA NYMPHA SALUTAT
LÆTIOR UNDA TIBI NUNC FRIDERICE FLUIT

„Dankbar begrüßt den hohen Besuch die hier waltende Nymphe.
Fröhlicher fließet dir nun, Friedrich, die rauschende Ach.”

Und dann, hinein mit euch ins Dunkel! Zwölf Mann in einem Boot. Die Nymphe hielt sich gut verborgen, nur manchmal glaubte man die Schuppen ihrer Haut vom Grund der Grotte herauf zu glitzern sehn. Das kristallklare Wasser schimmerte in changierenden Grün- und Blautönen kostbarer Edelsteine, und sah man tief hinein, so blickte man geradewegs in die Unendlichkeit.

Behaglich und geborgen, ganz frei von allen Sorgen, im Bauch der Erde eingelassen wie ein Embryo im Mutterleib: beseeligende Glücksgefühle, die man gewiß nicht alle Tage so erlebt.

Wir wurden rasch wieder an Land gesetzt, für mein Empfinden viel zu schnell – wird nicht ein Neugeborenes sich wohl ganz ähnlich fühlen? Das grelle Licht des Tages löschte das Erlebte aus wie einen schönen Traum. Doch die Erinnerung in uns, sie bleibt . . . und nährt die Hoffnung und den Wunsch, dorthin zurückzukommen, wo wir wirklich ganz zu Hause sind; wir kennen es, das stille Land des Lächelns und nie endender Geborgenheit.

Schön war sie – Dank – die Fahrt ins Blaue, mit einer Vielfalt bunter Eindrücke; so farbenfroh wie all das Laub, das noch die Bäume ziert. Reicher kehrt die Seel’ nun in den Pflichtenkreis des Werktages zurück – wo wohnt das Glück?
Es kniet zu deinen Füßen,
und gehst du fort, so geht es mit.
So geh’ nur sacht, zerstör es nicht -
mit deinem nächsten Schritt . . .