• Unterm Rad II • - mein 17284. Tag


ir müssen Flexibilität beweisen, heutzutage – denn wer mit reichlich Fort- und Weiterbildungen auftrumpfen kann, hat letztlich seine Nase vorn.
Gesagt, getan, ich spucke in die Hände – die eiskalten. Die klammen Finger sind vor Kälte blau, vom Schmutz der Reifen und der Straßen starren sie tiefgrau. Der eisige Oktobermorgen meint es gut mit mir.

«Wie wär’ es heut’ mit einer Fortbildung zum Radmechaniker?» tönt es von oben – «Muss das denn sein?» ich zieh’ den Kopf schon ein – «Ja, es muss sein, das weitet schön dein akademisches Profil.»

Wo ist das Flickenzeug?
Und wo der Kleber?
Die Muskelkraft ersetzt
den Wagenheber.
Man laborieret, eins, zwei, drei,
die Luft strömt am Ventil vorbei;
und auch nach mehreren Versuchen,
hilft nichts – man möchte gern -
und darf nicht flxxxxx.
Verflixt und zugenäht!
Bin ich zum Schneider oder Schuster denn geboren?
Das Ego ist es, was sich bläht.
Dem Hahn wird wieder ’mal sein roter Kamm zurecht geschoren.

Ein Jahr fast garantiert’ es mir Beweglichkeit, das Fahrrad meiner Mutter, das ihr – schon lang ist’s her – stets treu und hilfsbereit zur Seite stand. Zwei Gänge taten noch, ein schwerer und ein leichterer. So ging es immerfort ganz munter, Berg hinauf, und Berg hinunter; schmal bereift – hübsch weiß gestreift – so tänzelte ich über Schnee und Eis, wie eine Primaballerina über das Parkett. Doch war zuletzt das feine Rädchen groben Wegen nun erlegen.

Was tun, sprach Zeus, in seiner Not?
Das Fahrrad ächzt, und ist halbtot.
Dort steht was in der Eck’, ein Gaul!
jetzt schau ich tiefer ihm ins Maul,
obwohl er mir geschenket worden . . .

Seit Monaten stand es verlassen in der Ecke, das fürstliche Geschenk der Nachbarin; ein ausgemustertes Mountainbike ihres Sohnes, das ich schon längst gesattelt hätte – wenn es denn fahrbereit gewesen wäre.

Der Kurbeltreter links? Nicht aufzufinden, amputiert.
Schlauch vorne? Der hält nicht, was er verspricht.
Und Licht? Das glänzt nur durch Abwesenheit.
Die Bremsen? Nichts als heisse Luft . . .

und so geht es in einem fort, eindeutig ist die Diagnose: Patient schwer krank, muss schleunigst auf den Tisch! Indess – das nächste Krankenhaus für Räder, das ist weit. Doch wer sein Radl liebt, der schiebt! – wie wahr . . .

Es waren nicht die letzten Hürden, auf dem Weg ins neue Fahrradglück, doch gestern fiel der erste Praxistest durchaus erfolgversprechend für mich aus. Der nächste Winter kommt bestimmt, er klopft schon an die Pforte – ich heiße ihn willkommen – denn ich bin gut gerüstet jetzt, mit griffigem Profil. Zertifizierter Radmechaniker bin ich trotz alldem nicht geworden, doch kann ich zwischenzeitlich nicht nur zwischen Kettenschaltung und althergebrachter Nabenschaltung unterscheiden, sondern sogar sie just justieren, und das mit meinen linken Händen! Wirklich umwerfend, einfach grandios. Umwerfer, Ritzel, Innenlager? Auch kein Problem. Mit Fahrradfachausdrücken bin ich mittlerweile gut bestückt.

Und wozu war das Ganze gut? Es tut sich nichts, wenn man’s nicht selber tut – bei sich beginnen, heißt die allererste Bürgerpflicht. Es ist eines der wichtigsten Talente uns’rer Seele, und wem’s gefällt, an ihm zu feilen (auch, wenn’s weh tut), der wird wahrlich groß. Doch fällt dann nichts dir in den Schoß!

Das soll und wird die Tapferen im Land nicht schrecken; und wer sich ziert oder geniert, der wird zur Zierde nachhaltig erzogen, seelisch geläutert und zurechtgebogen: Die Menschen aus der DDR ham’s hinter sich, doch die in Nordkorea stecken mittendrin. Das alles ist nur eine Frage der Geduld, und man muss wahrlich kein Prophet sein, um schon den nächsten Mauerfall vorauszuahnen.

Erwartungsfrei zu werden,
das ist ein hohes Ziel auf Erden.
Tu nur den ersten Schritt dazu!
Dann geht der Nächste mit, im Nu . . .
und was nicht alles geht, wenn’s gehen muss!
für heute mach’ ich erst ’mal Schluß . . .