st das wirklich nur so eine scherzhafte, umgangssprachliche Redensart, wie man gemeinhin annimmt? Kinder nehmen diese Redensart durchaus ganz wörtlich, denn sie glauben noch an das Christkind; und manches Kind, das schon in die Schule geht, schreibt ihm deshalb dieser Tage einen lieben, langen Brief mit tausend Wünschen.
Warum tut es das? Und warum tun wir Großen es nicht mehr? Sind unsere Erinnerungen bereits so stark verblasst? Haben wir nicht alle als Kind die Erfahrung gemacht, dass unsere Wünsche in Erfüllung gehen, wenn wir sie nur laut und deutlich genug artikulieren? Ein kleines Kind, das schreit, wird umgehend gestillt. Es schreit, weil ihm etwas fehlt. Es schreit, weil es friert, weil es Hunger oder Durst hat, weil es ihm zu laut, zu unruhig, oder zu hell ist. Ein kleines Kind kann seine Bedürfnisse noch nicht selber stillen. Und so ist es die Aufgabe der Großen, es an die Hand zu nehmen, und zu erspüren, welche Bedürfnisse es hat.
Die Adventszeit, die Zeit des Wünschens und Wartens . . .
Jedes Kind wird größer, und so bleibt es nicht aus, dass es seinen eigenen Willen entwickelt. Ihn erprobt es an der Welt — und erfährt beträchtlichen Widerstand. So muss es langsam, aber sicher die Erfahrung machen, dass die Bäume auf der Erde nicht in den Himmel wachsen — doch dem Himmel entgegenstrecken — ja, das darf, das soll, das muss es, wenn es glücklich werden möchte! Nicht jeder Wunsch geht in Erfüllung, und auch bei weitem nicht so schnell, wie’s Kinder nun mal gerne hätten. Da muss man sich mit seinem heiß und innig ersehnten Laufrad schon mal bis zum nächsten Geburtstag gedulden, und mit den Fingern zählt man am Adventskranz jede Kerze, die schon brennt; ist’s endlich Heilig Abend, so kann man’s kaum erwarten, bis es so weit ist —— hurra, Bescherung! Fröhlich klatschen Kinder in die Hände, und ihre Augen glänzen wie die silbernen Kugeln, die am festlich geschmückten Christbaum hin- und herschwanken, trunken vor all der Herrlichkeit und Pracht.
Ist diese Treppe, die sprichwörtlich „in den Himmel führt”, nicht ein schönes Symbol für das Höherstreben der Seele?
Dein Wunsch sei mir Befehl! Das ist der Ruf des Lebens, der in jedem von uns widerhallt.
So wie wir alle rufen,
so schallt es uns zurück.
Und führt uns, auf den Stufen,
hinauf zum Lebensglück.
Stufen steigen ist mühsam. Als Kinder hatten wir unsere Lieblingsplätze im Wald, wo wir unsere Baumhütten bauten. Einer dieser Plätze lag auf dem felsigen Schloßberg, und der Zugang war eine unglaublich steile und ausgetretene Sandsteintreppe, die sich Himmelsleiter nannte. Wollten wir dem Himmel näher kommen, so mussten wir also Stufe um Stufe erklimmen, schön vorsichtig und konzentriert. Zum Glück gab es auf einer Seite ein Eisengeländer, an dem man sich festhalten konnte. So ging alles gut, und wir kamen heil hinauf und auch wieder herunter.
Dein Wunsch sei mir Befehl! Wir sollten darauf vertrauen, dass es das Leben gut mit uns meint, und uns gern an die Hand nimmt, um uns den Weg zum Licht zu weisen — doch sind wir auch bereit, die Hand dem unsichtbaren Band entgegenzustrecken? Das Band ist immer für uns da, wie die Rettungsleine eines Schiffs. Es wartet nur darauf, dass wir es ergreifen.
Dein Wunsch sei mir Befehl! Wie glücklich können wir nun sein, wenn unsere Wünsche in Erfüllung gehen? Mein brennender Herzenswunsch ist momentan, mehr über das zu erfahren, was man das kleine ICH oder das kleine EGO nennt; warum? Weil ich immer deutlicher spüre, dass dieses „ich, ich, ich!” mich gefangen hält, und mich abhängig macht von Anerkennung, Lob, und Zuwendung durch andere. Es trennt mich von der Liebe, die ich schenken möchte. Es ist, als ob es immerfort auf alles, was ich tue, einen Schatten wirft, der das reine, helle Licht der wahren Liebe trübt.
Szenenwechsel. Dein Wunsch war mir Befehl! tönt es von „oben”. Da haben wir die Bescherung — und Heilig Abend ist’s noch lange nicht. Die Tagesschule lässt grüßen.
Tagesschule vom vergangenen Donnerstag, Chronologie der Ereignisse.
- Um 9:16 Uhr fährt der Zug, den ich (samt meinem kaputten Rad) kriegen muss. Radschaltung hinüber, muss dringend repariert werden, telefonisch Vormittagstermin avisiert. Werde bis zum Abend unterwegs sein, bereite mein Mittagessen vor, richte alles für den Tag, was ich brauche.
- Habe den Abend vorher die Kette mit der defekten Schaltung fixiert, so dass ich das Rad einfach den Berg hinunter zum Bahnhof rollen lassen kann, so hoffe ich.
- Frühstück in aller Eile, kurz vor 9:00 Uhr verlasse ich das Haus. 5 Minuten bis zum Bahnhof, kein Problem. Zuerst ein Stück auf ebener Straße wie auf einem Roller, das macht Laune, das bringt Schwung! Dann den steilen Schotterweg hinunter. Es schüttelt mich kräftig durch. Ich streife an einem Zweig, der meine wärmende Mütze vom Kopf fegt. Vollbremsung. Zurück, die Mütze holen. Weiter. Wenig später schlägt es durch die Erschütterungen das Schaltgetriebe in die Speichen, Vollbremsung, das Rad blockiert. Es klemmt. Nervöser Blick auf die Uhr. Mit Ziehen und Zerren, mit sanfter Gewalt bekomme ich die Schaltung aus den Speichen heraus. Weiter. Langsam, vorsichtig!
- Ich erreiche den Bahnhof, 5 Minuten später als geplant. Der Zug steht schon da. Ich versuche ruhig zu bleiben. Vergeblich. Schnurstracks zum Fahrkartenautomat. Der Boden davor ist aufgerissen, zwei Arbeiter mit Schaufel in der Hand sehen mich an. Hä? Ich traue meinen Augen nicht. Wo früher die Eingabetasten für Fahrziel usw. waren, glänzt nur noch eine mattgraue Fläche. Verzweifelt frage ich die Arbeiter, die mich auf die Rückseite des Automaten verweisen. Da stehe ich vor der Eingabemaske, und weiss nicht weiter. Früher war auf der Automatenrückseite lediglich die Eingabemaske für den Fernverkehr, doch jetzt wird auch die Fahrkartenausgabe für den Regionalverkehr darüber abgewickelt. Ich steppe nervös durch die einzelnen Untermenüs, bis ich endlich beim Regionalverkehr gelandet bin. Fahrziel eingeben, Münzen einwerfen. Warten, ihre Fahrkarte wird gedruckt . . . Nach endlosen Sekunden ein bekanntes, metallenes Geräusch: statt einer Fahrkarte klappert mein eingeworfenes Münzgeld in der Ausgabemulde. Verzweiflung, Blick auf die Uhr, der Zug!
- Ich schiebe mein Rad über das Gleis, hieve es in den vorderen Zugteil, möchte den Zugführer um eine Fahrkarte bitten. Doch kein Fahrer im Cockpit! Ist das überhaupt der richtige Zug? Die Fahrgäste bestätigen dies. Wo ist der Fahrer? Nicht da. Es ist 9:15 Uhr. Ich springe aus dem Zug, da kommt er mir entgegen. Ich erkläre ihm hastig die Situation, er zuckt nur mit den Schultern. Ich stehe wieder im Zug, frage den Zugführer, was ich denn machen soll. »Das ist Ihre Entscheidung!« Der Dieselmotor springt an. Ich schaue auf mein Rad, auf den Ausgang. Zu spät. Die Türen schließen, der Zug fährt pünktlich los.
- Ich schaue entgeistert in die Runde, und frage: »Und jetzt?« Ein Mädchen sagt: »Ist mir neulich auch passiert. Musste 40 € berappen.« Ich sehe die Verbindungstür zum nächsten Zugwagen aufgehen, ein Mann in graublauem Dienstanzug tritt herein. »Ist das der Kontrolleur?« — »Ja, ein richtiges . . .!« Ich gehe sofort auf ihn zu, sage, was ich erlebt habe. Er weist mich an, mich zu setzen. Da steht er, breitbeinig, wie ein Richter thront er über mir. Sagt kein Wort. Schreibt. Und schreibt. Und schreibt. Ins Buch des Lebens? »Ihr Personalausweis, bitte!« Er schreibt weiter. Endlich drückt er mir eine Fahrkarte in die Hand, ich bezahle die 2,30 €, er beschwichtigt meine Fragen — »Ja, ja, Kulanzfall, das wird noch überprüft . . . Quittung bitte mindestens 30 Tage aufbewahren, Sie bekommen dann Bescheid, ob Sie noch etwas zu bezahlen haben!« Schöne Bescherung. Mein Nervenkostüm ist erledigt. Der Tag ist lang, mir ist nicht bang. Der Tag geht weiter, bleibet heiter.
- Als ich vollbepackt mit dem Wocheneinkauf Richtung Heimat gondle, ist es längst stockfinster. Der Weg durch den Wald ist vom Regen und den Rädern der schweren Forstmaschinen aufgeweicht; ich verliere das Gleichgewicht, und lande im Morast. Der Eimer mit meiner über alles geliebten Bierhefe zerplatzt, der kostbare Inhalt ergießt sich über den kargen Waldboden. Eine unvorhergesehene Düngung der ganz besonderen Art.
Rückblende, Zusammenfassung und Lernimpulse aus dieser Tagesschule:
- Was sind Positiv-Negativ-Prüfungen? Ich habe Ihnen mehrere „klassische” Positiv-Negativ-Prüfungen geschildert.
- Das Schaltgetriebe, das sich in den Speichen festhakt.
- Die Zugkontrolle am Morgen.
- Der zerplatzte Eimer am Abend.
Solche Positiv-Negativ-Prüfungen sind eine Art „Weichenstellung” für den Tag. Lassen wir uns die Freude am Leben durch derartige Mißgeschicke verderben? Seien Sie kein Spielverderber. Werden Sie eine positive Macht. Und Ihr Herze lacht. Wir können nur dann dauerhaft glücklich sein, wenn wir lernen, in allen Geschehnissen, so unangenehm sie auch zunächst sein mögen, das Positive, das Geschenk zu sehen. Positiv-Negativ-Prüfungen erleben wir häufig in den ersten zwei Stunden nach dem Erwachen; doch auch zu späterer Stunde, wenn unsere Seele es benötigt.
- Wir unterliegen in unserem Verhalten, und damit einhergehend, in unserer gesamten seelischen Entwicklung, dem Gesetz von Ursache und Wirkung, dem sogenannten Kausalprinzip. Durch jede von uns getroffene Entscheidung wird ein weiteres Glied an die Kausalkette angehängt. Beobachten wir die Ereignisse unserer Tagesschule, so können wir die Kausalkette zurückverfolgen; am leichtesten geht das, wenn wir bewußt und wach im Hier und Jetzt sind, und uns auf die kausalen Zusammenhänge mit dem Vortag beschränken.
- Störungen, Ärger, Mißgeschicke, Niederlagen?
- Belohnungen, Geschenke, freudvolle Gefühle, mehr Energie als gewöhnlich?
Wir brauchen nur zu fragen. »Warum? Was ist der Grund? Was war gestern?« Wenn Sie sich den gestrigen Tag vergegenwärtigen, dann verstehen Sie besser, was heute in Ihrer Tagesschule läuft — und was Sie Ihnen sagen möchte.
Einige Beispiele aus der geschilderten Tagesschule:
- Der Auftakt der Mißgeschicke: Die Mütze, die meinen Kopf schön warm hält – und mir Geborgenheit gibt – wird von einem Zweig vom Kopf gefegt. Und gestern? Zwei Situationen kommen mir, wo ich bewußt gegen die Intuition meinen Kopf, meinen Willen durchgesetzt habe.
Die Arbeit umgehend abbrechen, wenn es Zeit zum Essen ist? Fehlanzeige. Ich hätte diese Möglichkeit gehabt. Ich liess den Körper hungern, ihm mangelte Geborgenheit, und damit auch der Seele, denn die beiden gehen immer Hand in Hand. Die Sache mit der Mütze weist mich darauf hin.
- Die zweite Situation vom Vortag schwor die schweren Mißgeschicke bis zum späten Abend herauf. Ich will, ich will, ich will! Ich wollte unbedingt einen Artikel fertigstellen, und es zog sich hin; ich war müde, das Konzentrieren wurde zur Qual, und ich musste noch vor Ladenschluss zum Einkaufen. Doch es fehlte nicht mehr viel. Alles in mir spannte sich an. Druck baute sich auf. Nicht umsonst sagt man umgangssprachlich »Das drücken wir noch durch!« Und so drückte ich die Sache durch. Mit flatternden Nerven. Wider besseren Wissens. Es war nur eine Viertelstunde. Doch sie schlug die Wunde, die, mit Salz und Essig bestreut, am darauffolgenden Tag mir höllisch brennen sollte.
Der nächste Morgen: Druck, Druck, Druck, Anspannung, flatternde Nerven, alles, was schief gehen kann, geht daneben; in der Viertelstunde, bis der Zugkontrolleur mich zum Sitzen und Innehalten zwingt, spüre ich förmlich, wie mein Körper Stresshormone und Adrenalin ausschüttet, und von Säuren überschwemmt wird (umgangssprachlich: »Es war mal wieder alles Essig . . .«).
Will ich das? Ist das Selbstliebe? NEIN. NEIN, und nochmals NEIN.
Wunderbar. Damit hat die Tagesschule ihr Ziel erreicht. Sie führt uns die Konsequenzen unserer Entscheidungen vor Augen — in der Hoffnung, dass wir begreifen, dass sich Glücklicher zu werden mehr lohnt als Unglücklich zu bleiben. Die Tagesschule hilft uns, mehr und mehr uns selbst zu erkennen. Sie spiegelt unsere Entscheidungen des Vortags. Manchmal tut’s weh, oft ist es lustig, und immer sehr, sehr originell.
Da war doch noch die Sache mit der Bierhefe? Die Krönung
Mißgeschicke werden uns geschickt, damit wir ihre Botschaft lesen.
des Tages. Bierhefe, ein Wundermittel für die Nerven. Doch kein Alibi und auch kein Freibrief, um sich und seine Nerven permanent zu überlasten. Peng! Da liegt der Eimer mit der Hefe im Schlamm. Bierhefe packt die Nerven in Watte. Meine liegen blank. Am Boden. Wie die Hefe, die jetzt den Waldboden düngt.
»Ein Loch ist im Eimer, Karl-Otto, Karl-Otto /
Dann stopf es, oh Henry, oh Henry /
Womit denn, Karl-Otto, Karl-Otto . . .« so tönt die alte Leier. Zeit, etwas zu ändern.
Was ist die Rettung?
Die Rettung ist der positive Wunsch.
»Wie lange willst du denn noch mit dem Kopf durch jede Wand? Reichen dir die Schmerzen und Blessuren, die du dir in deinem Leben zugefügt hast, immer noch nicht aus?« –
– »Hmmmmmm . . .«
»Möchtest du glücklich sein? Möchtest du gut zu dir sein? Tut dir Geborgenheit gut?« –
– »Jaaaaaaaaa!«
»Dann schenk sie dir! Beginne bei dir selbst.«
So lassen wir sie heilen, unsre Wunden. Und lassen wir es ziehen, in Frieden, unser Ego, unser kleines ICH. Eines Tages brauchen wir’s nicht mehr, weil wir erkennen, dass wir’s wert sind, uns auszusöhnen mit uns selbst; und dann beginnen wir, als Licht zu strahlen, um das zu sein, was wir in Wahrheit sind: Gottes Kind.
post scriptum: Teilt die Erlebnisse eurer Tagesschule mit anderen! Berichtet davon im Forum. Gemeinsam lernen ist einfach effektiver, und wir alle haben dann mehr Freude . . .