Vom richtigen Umgang mit Wünschen - mein 17225. Tag


ennen Sie das? Da hört man jemand reden, und der Vortrag rauscht an einem vorbei, ein Wort nach dem anderen. Man hat große Mühe, mit seinen Gedanken dabei zu bleiben, und dem Redner zu folgen. So vergehen die Minuten, und man wünscht sich sehnlichst eines nur herbei: das Schlußwort. Doch auf einmal gehen die Ohren auf, und man wird hellwach. Ein Satz nur, wenige Worte, doch sie treffen mitten ins Herz.

So erging es mir bei einer ökumeníschen Trauung, als einer der beiden Pfarrer den Frischvermählten wünschte, dass „ihnen nicht gegeben werde, was sie begehren, sondern das, was sie brauchen”. Da ist bei mir der Groschen gefallen. Wünsche, die ich hartnäckig genug begehre, erfüllen sich – doch werden sie mir dann zum Segen oder nur zu einer Last? Wer will schon ein Klotz am Bein, das ihn daran hindert, innerlich vollkommen frei zu sein? Wünsche müssen mit Bedacht gewählt werden.

Ein Freund erzählte mir von seiner Kindheit, wie er in äußerst bescheidenen Verhältnissen aufwuchs, als Flüchtlingskind in den trostlosen Zweckbauten der fünfziger Jahre. Kein eigenes Zimmer, kein eigenes Spielzeug, kein Geld für die Streiche und Vergnügungen der Altersgenossen aus gutsituierten Häusern. Der Wunsch, einmal in einem eigenen Zuhause zu leben, erfüllte ihn voll und ganz; einmal sein eigener Herr zu sein, in den eigenen vier Wänden nach Belieben schalten und walten zu können. Dieser Wunsch prägte seinen ganzen weiteren Lebensweg, seine Berufswahl, seine Entscheidung für eine Ehe und drei Kinder, und für den Bau eines eigenen Hauses. Sein Wunsch hatte sich erfüllt. Nach über 30 Jahren ist er nun schuldenfrei, die Kinder sind aus dem Haus, und seine eigenen vier Wände – sind ihm zur beschwerenden Last geworden. Die Beanspruchung und Verantwortung im Beruf ist so groß geworden, dass er für die Pflege und den Unterhalt des großen Hauses nicht aufkommen kann. Es fehlt ihm dazu die notwendige Zeit, die Ehefrau ist chronisch erkrankt. Der Garten versinkt in einen Dornröschenschlaf, am Haus wird nur das Dringlichste repariert . . .

Und seine Wünsche jetzt? Die haben sich mit den Jahren vollkommen verändert. Nur keine Mühlsteine mehr! Nun träumt er von einer kleinen, feinen, überschaubaren Mietwohnung, pflegeleicht, in einem Neubau in attraktiver Lage. Alles delegieren, Verantwortung abgeben, sich um nichts mehr kümmern müssen, frei sein von den lästigen Verpflichtungen der Wohnungsbesitzer: keine nervenaufreibenden Eigentümerversammlungen, keine Erstellung komplizierter Nebenkostenabrechnungen, dafür endlich Zeit für sich und die schönen Dinge des Lebens. Lange genug hat er das vernachlässigt, was ihn wirklich interessiert.

Lebenszeit und Lebensenergie verpuffen, wenn wir mit unseren Wünschen auf das falsche Pferd setzen. Wie kann ich denn in Erfahrung bringen, was ich tatsächlich benötige, und was meiner seelischen Entwicklung wirklich zuträglich ist? Wir schmoren viel zu sehr in der eigenen Suppe, als dass wir über den Tellerrand unserer begrenzten Lebenserfahrung hinausschauen könnten. Deshalb ist es um so wichtiger, dass wir die innere Bereitschaft entwickeln, uns mehr und mehr durch unser Leben führen zu lassen, und das, was geschieht, dankbar anzunehmen – auch wenn es oftmals nicht das ist, was unserem eigenen Willen und Wolllen entspricht. Begehren und von Herzen wünschen sind zweierlei: deshalb habe ich mir den Satz des Pfarrers zu eigen gemacht, und er bringt jedesmal, wenn ich ihn ausspreche, Frieden in mein Herz: „Gib mir nicht, was ich begehre, sondern was mein Heil vermehre . . . ”

Herr, schicke was du willt,
ein Liebes oder Leides;
ich bin vergnügt, dass beides
aus deinen Händen quillt.

Wollest mit Freuden
und wollest mit Leiden
mich nicht überschütten!
Doch in der Mitten
liegt holdes Bescheiden.

Eduard Mörike, schwäbischer Pfarrer und Dichter,
1804 -1875




Vergeben, Lektion 2 - mein 17162. Tag


as schwierigste zu verstehen in dieser Welt ist sicherlich sich selbst, oder? Was unterscheidet den Klugen vom Törichten? Der Törichte macht jeden Tag dieselben Fehler, der Weise macht dagegen jeden Tag andere.
Seit langer Zeit arbeite ich an dem einen Thema, dem Dreh- und Angelpunkt, der mich (noch) gefangen hält: gelassen und geduldig, fröhlich und unverzagt die Arbeit zum richtigen Zeitpunkt abzubrechen (dann, wenn es Zeit für andere Dinge ist – vornehmlich für Ernährung, Entspannung, Regeneration und Schlaf), mich nicht stur festzubeißen in den Schwierigkeiten, die in schöner Regelmäßigkeit kurz vor dem richtigen Zeitpunkt zum Abbrechen auftauchen, mich nicht hineinziehen zu lassen in diese hinterlistigen Eingebungen des Verstandes: „…noch eine halbe Stunde, dann hast du das und das wenigstens abgeschlossen…” Aus halben Stunden werden ganze Stunden, aus ganzen Stunden ganze Nachmittage, und über ganze Nachmittage legt sich schon das Dunkel der Nacht…
Ich handle unvernünftig, obwohl ich das im tiefsten Grunde meines Herzens nicht möchte. Wie kann man seine Ketten ablegen, die uns in den Mauern des eigenen Kerkers gefangen halten?
Rekapituliere: Gestern abend, Punkt 23:21 Uhr – Schluß, kann nicht mehr, taumle aus dem Büro. Es war wie im Krieg. Keiner war bereit, die weiße Fahne zu hissen. Keiner wollte KAPITULIEREN; doch das ist meine Aufgabe. Jesus Christus kann das besser als jeder andere. Kapitulieren, das eigene Wollen hintanzustellen, und bereit zu sein, der Führung von „oben” zu gehorchen. Demut nennt man das. Wahrlich, ich bewundere ihn vielleicht mehr als mir gut tut – denn es zeigt mir um so deutlicher meine eigenen Wunden auf.
Nun gut, heute morgen, nach wenig Schlaf, Gliederschmerzen und bleierner Schwere üben wir zu vergeben – dem Schicksal, das es böse mit mir meint? Ach nein, viel eher den Schnecken, die sich an dem vom Wind umgeworfene Basilikumtöpfchen gütlich getan haben, und natürlich mir, für das gestrige Scheitern. Ich schaff’ das schon. Dann winkt der Lohn! Und den möchte ich haben, unbedingt…

„Die schönsten Träume von Freiheit werden im Kerker geträumt…”
Friedrich Schiller, eingekerkert auf der Festung Hohenasperg