• Gute Wünsche •


er Alltag hat uns wieder, die Weihnachtsbäume werden eingesammelt, und die Lichterketten wandern in den Schrank. Gewohnheit treibt des Menschen Tun – zuerst die Pflicht, darauf das Ruhn. So geht es fort, von Tag zu Tag, ein jeder hat sein’ eigne Plag. Der Mühe Lohn – sofern wir es verdienen – das ist Freude! Kein Mensch hat treffender es jeh benannt als Rabindranath Tagore, dessen Worte wir uns beim Erwachen ins Gedächtnis rufen können:

„Ich schlief und träumte, das Leben wäre Freude.
Ich erwachte und sah, das Leben war Pflicht.
Ich handelte, und siehe, die Pflicht ward Freude.”

Wann stellen wir die Weichen für den nächsten Tag? Nun, früh am Morgen, denkt man, das wär’ gut, doch besser wäre noch: wenn früh am Abend wir es stiller in uns werden lassen, denn Ruhe und Geborgenheit sind innige Geschwister. Gilt es doch zweierlei des Abends zu bedenken: was heute und warum’s geschah – den Blick zurück wir lenken – um dann dem Tag, der kommen mag, Aufmerksamkeit zu schenken.

Mag er denn zu mir kommen? Mag ich ihn ganz, den neuen Tag, ist er mein wahrer Freund? Heiß ich in Freude ihn willkommen? Kann ich ihm dankbar dafür sein, von Neuem mich in Pflicht zu nehmen? Und bin ich wissbegierig auf all das, was mir der Tagesschule Plan beschert?

Ein guter Schüler lernt nie aus. Wie war das denn als Kind? War ich ein guter Schüler? Als Morgenmuffel zog ich durch das Land – als Nachteule hätt’ ich mich frei bekannt. Nun, meine Lebensspur glich einer Achterbahn, meine Gefühle schwankten zwischen den Extremen: „Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt”. Bis ich, Baron Münchhausen gleich, mich selbst aus dem Triebsand des Lebens – tschuldigung, muss natürlich Treibsand heißen (auch solch ein Tippfehler ist kein Zufall . . . ich war damals wirklich getrieben wie ein Ahasver) – herauszuziehn begann. Das war vor siebzehn Jahren. Inzwischen ist alles viel ruhiger geworden, übersichtlicher, klarer, zielstrebiger. Und das tut mir – und meiner Gesundheit – unendlich gut. Was war geschehen?

Ich begann zu wünschen. Inständig und konsequent.

Oft sind es Kleinigkeiten, die unseren Alltag bereichern. Allzu leicht übersehen wir sie, wie solch eine liebevolle Botschaft in Form einer Briefmarke.

Weichen stellen wir durch gute Wünsche. Stellt euch am Abend vor dem Einschlafen vor, ihr wärt ein Zugführer. War das nicht immer euer Traumberuf? Jetzt seid ihr es.

»Habt Acht auf alle Weichen! Sind sie richtig gestellt? Seht ihr das Ziel der Reise klar vor euch?«

»Na dann . . . Türen schließen, Vorsicht bei der Abfahrt!« Unser Züglein gewinnt an Fahrt. Seht euch nur die Taube an, sie überbringt die guten Wünsche. Hoch steigt sie auf, bis in die Wolken, höher noch – und schon entschwindet sie den Blicken. Begleiten wir sie weiter in Gedanken, und schauen aus des Vogels Perspektive auf die winzigen Züglein, wie sie fahren . . . manche zügig, manche eher gemächlich, andere wiederum scheinen zu bummeln oder stillzustehn . . . und wer die Weichen falsch gestellt hat, landet auf dem Abstellgleis.

Wo willst Du hin?

Wenn ich unsere werbefinanzierte Wochenzeitung – die unaufgefordert an alle Haushalte verteilt wird – zur Hand nehme, so lese ich auf der aktuellen Titelseite: „Thema der Woche: Was ist Ihr größter Wunsch?

Es folgt ein Kurzinterview mit Bürgern unseres Landes, Menschen wie Du und Ich.

Da sagt eine 85-jährige Frau zum Beispiel: „Dass ich gesund bleibe. Das ist die Voraussetzung für alles, was ich tue . . . ”

Eine 29-jährige Frau sagt: „Ich wünsche mir mehr Zivilcourage . . . ” (Zivilcourage ist mit Mut vergleichbar)

Eine andere Frau sagt: „ . . . wenn ich ehrlich bin, dann würde ich gerne einmal eine Kreuzfahrt auf der Aida machen. Das Ziel wäre mir egal, ich möchte einfach nur ein wenig Luxus genießen . . . ”

„Seltsam, im Nebel zu wandern.
Jeder ist für sich allein . . .  ”

Wenn unser Weg verschleiert, und unser Leben grau und trüb geworden ist, so fehlt der positive Wunsch. Er hat die Kraft von 1000 Sonnen, und macht den Morgen frisch und neu.

Das Ziel muss klar umrissen sein. Das ist es meist noch nicht, in jungen Jahren. Es ist dann vielmehr so, als ob dichter Nebel jeden Lebensweg verhüllt. Deshalb muss Sonnenkraft die Schwaden auseinandertreiben, bis der Weg ganz unverhüllt sich zeigt. Klar und hell glänzt dann, vom Morgenlicht durchflutet, jeder neue Tag – weil er dem hohen Ziel uns näher bringen mag. Schritt für Schritt, und seien sie noch so klein! Die Summe macht es, und die Jahre. Ein lieber Freund von mir wohnt in der Hochzielstraße – wenn das kein gutes Omen ist!

Doch Wünschen will gelernt sein. »Ich will mehr Licht!« Der Wunsch ist Pflicht :smile: . Damit die Kraft der Sonne alle Finsternis in uns vertreiben kann, muss unser Herz samt unserem Gemüt sich erst einmal dem Licht zuwenden. Die Tage werden länger jetzt – und lichter. So wollen wir dem Lichtstrahl folgen, ihn in uns aufnehmen und weiterreichen. Kann denn das Leben anders, als erhellet sein, durch unser Wirken?